Durch Höhen und Tiefen: Mein ehrlicher Geburtsbericht und die wahren Gefühle dahinter

Herzlich willkommen zu wohl packendsten und emotionalsten Episode meines Momlife-Blogs: meinem Geburtsbericht. Hier enthülle ich die ungeschönte Wahrheit über die Geburt meines Kindes – ja, es war schmerzhaft. Wie ich damit umgegangen bin und warum ich trotzdem bis zum Schluss dachte, dass das Abenteuer noch gar nicht richtig angefangen hat, erfährst du, wenn du weiterliest. Viel Freude beim Lesen meiner Geburtserfahrung.

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Es ist ein warmer Freitagabend im Mai. Alex und ich schauen eine spannende Serie mit Kate Winslet. Gebannt sitze ich im Sessel und habe die Füße hochgelegt, weil meine Beine schon wieder so schwer sind – da spüre ich ein heftiges Ziehen im Unterleib. Es hält länger an, als ein gewöhnlicher Krampf. Ist das eine Wehe? Vom Schmerzlevel ist es auszuhalten, aber mein Herz klopft vor Aufregung. Geht es etwa los? Werde ich schon morgen Mutter sein? Der errechnete Geburtstermin ist zwar erst in einer Woche, aber halte ich wohlmöglich schon morgen mein Baby in den Armen?

Die Krämpfe kommen und gehen in regelmäßigen Abständen ungefähr alle zehn bis zwanzig Minuten. Und wenn ich jetzt genau darüber nachdenke, fällt mir auf, dass ich über den ganzen Tag verteilt bereits mehr oder weniger leichte Vorwehen spürte, denen ich aber keine große Bedeutung beigemessen habe. Sie begannen am Vormittag nach einem Besuch bei meiner Hebamme, wo ich mir eine ihrer Zusatzleistungen gegönnt habe: eine entspannende Schwangerschaftsmassage.

„Ich bin tiefenentspannt.“, raunte ich als mich die Hebamme fragte, wie es mir geht. „Und ich bin bereit. Meine Krankenhaustasche ist gepackt, der Kleine kann jetzt ruhig kommen.“

Nach der Massage folgte eine Akupunktur-Sitzung. Seit einigen Wochen piekst mir die Hebamme regelmäßig feine Nadeln in Beine und Füße, die bewirken sollen, dass der Geburtsvorgang beschleunigt und weniger schmerzhaft ist. Es gibt eine Vielzahl geburtsvorbereitender Methoden, die dies versprechen. Zum Beispiel soll es die Wehenschmerzen verringern, wenn man einige Wochen vor der Geburt auf seine Ernährung achtet. Die Louwen-Diät zum Beispiel diktiert den Verzicht auf Zucker und Kohlenhydrate in Form von Weißmehl circa sechs Wochen vor dem Geburtstermin. Ein Kinderspiel! dachte ich zumindest, als ich noch am Anfang meiner Schwangerschaft stand. Als es dann aber soweit war, knickte ich ein. Eine Spätschwangerschaft ohne Kinderriegel und Pizza war für mich einfach nicht drin.

Auch der regelmäßige Verzehr von Datteln wird als Methode empfohlen, um einer schmerzhaften, langanhaltenden Geburt vorzubeugen. Mindestens fünf Datteln täglich über einen Zeitraum von mehreren Wochen vor der Geburt. Aber auch das hielt ich nicht durch, weil mir in der Schwangerschaft auf einmal allein vom Anblick der klebrigen Dinger übel wurde. So ist das Setzen feiner Nadeln an bestimmten Punkten in Beinen und Füßen für mich die am einfachsten umzusetzende, geburtserleichternde Methode. Bei meinem letzten Akupunktur-Termin steckte mir meine Hebamme auch eines der Nädelchen in den kleinen Zeh.

„Diesen Punkt nennt man auch Rausschmeißer.“, scherzte sie und tatsächlich spürte ich diesmal ein Kribbeln, das sich durch meinen ganzen Körper zog.

„Da bin ich ja mal gespannt, ob der kleine Mann in meinem Bauch sich jetzt rausschmeißen lässt.“, sagte ich und lehnte mich in meinem Sessel zurück.

Nach einem kleinen Mittagsschlaf zuhause, besuchten Alex und ich meine Schwägerin. Die Straße vor ihrem Haus war für den Autoverkehr gesperrt und eine kleine Band spielte ein Konzert. Wir setzten uns mitten auf die Straße, die Nachbarn organisierten mir mit meinem Kugelbauch sogar einen Klappstuhl, und wir genossen unser erstes Konzert seit langer Zeit des Lockdowns in der Pandemie. Immer mal wieder zwickte es in meinem Bauch. Aber zum ersten Mal seit langem war ich total abgelenkt durch die Musik und die Stimmung und so entspannt von der Massage und dem Schläfchen, dass ich meinen Bauch fast vergaß.  

Und jetzt sind sie auf einmal da, die ersten Wehen. Oder soll ich eher sagen: Wellen? Schließlich habe ich diese ganzen Schwangerschaftspodcasts zum Thema „friedliche Geburt“ rauf und runter gehört, in denen gepredigt wird, dass man die Wehe als Welle betrachten soll, weil der Begriff mehr Kraft verleiht und Wehen – pardon, Wellen – ja auch wellenförmig auftreten.

Welle oder Wehe, hin oder her: ich spüre etwas, das ich zuvor noch nie gespürt habe. Vor lauter Aufregung kann ich mich nicht mehr auf die Serie konzentrieren. Ich lege mich ins Bett, aber an Einschlafen ist nicht zu denken. Alle zehn bis zwanzig Minuten reißt mich eine „Welle“ aus dem Dämmerzustand und ich komme nicht zur Ruhe. Wahnsinn, es geht los! Wahnsinn, vielleicht muss ich gleich schon ins Krankenhaus fahren!  

Irgendwann schlafe ich dann doch ein. Sogar geschnarcht haben soll ich, sagt Alex. Schnarchen, auch so ein Schwangeschaftssymptom, dessen Ende ich mir herbeisehne, genauso wie die Verstopfung, die Hämorrhoiden, den Husten, den dicke Bauch…

Am nächsten Morgen sind die Wehenwellen nicht mehr da. Ich habe nur noch ab und zu Krämpfe, sitze auf dem Balkon und versuche zu entspannen. Die Sonne scheint, der Sommer kommt endlich. Am Nachmittag sind wir bei meiner Schwiegermutter zum Grillen eingeladen und ich sehe keinen Grund der Einladung nicht nachzugehen, denn ich habe Hunger! Bei Schwiegermama verschlinge das halbe Grillbuffet alleine wie eine ausgehungerte Löwin – oder so wie ich aussehe eher wie eine Elefantenkuh, solch einen Appetit habe ich. Heißt es nicht, dass der Appetit schwindet bevor das Baby kommt? Diese Wehen-stürmische Nacht muss falscher Alarm gewesen sein. Zwar packt mich zwischendurch immer wieder eine Wehe und ich muss innehalten, sogar so atmen, wie ich es im Geburtsvorbereitungskurs gelernt habe. Aber das hindert mich nicht am Essen und Pläne schmieden. Meine Mutter ruft an und fragt, ob wir am nächsten Tag an den See fahren. „Na, klar!“ Ein bisschen relaxen am Wasser klingt gerade super für mich.

In der nächsten Nacht kommen die wehenden Wellen allerdings zurück. Es ist heftig. Ich lade mir eine Wehenzähler-App herunter und versuche die Abstände zu zählen. Die Wehen kommen mal alle fünf, mal alle sieben bis zehn Minuten. Die Worte der Hebamme aus dem Geburtsvorbereitungskurs schießen mir durch den Kopf: „Ins Krankenhaus geht es erst, wenn die Wehen alle drei bis fünf Minuten kommen!“

Also atme und töne ich mich durch die Nacht und bin am nächsten Morgen total gerädert. Da die Schmerzen diesmal auch am Tag nicht abklingen, sage ich den Ausflug zum See ab. Ich bin hundemüde, aber nach wie vor davon überzeugt, dass das erst der Anfang ist. Schließlich sind die Abstände zwischen den Krämpfen noch zu lang. Sie kommen alle fünf bis sieben Minuten. Dazwischen übe ich mich im Sekundenschlaf und positiven Mantras: Ich schaffe das, ich schaffe das, ich schaffe das! Aua! Ahhhh! Oooooh!

Ich habe so viele Wehen, dass ich die Unterschiede herausspüren kann. Da gibt es die Wehen vorne im Unterleib, die, die hinten im Rücken ziehen, und die in der Leistengegend. Letztere finde ich am schlimmsten zu ertragen. Der Schmerz frisst sich jedes Mal in meine Hüften und ich bin immer froh, wenn mich stattdessen eine Rückenwehe ereilt – die sind einfacher auszuhalten. Es sind eben die kleinen Dinge, die Freude bereiten.

Eine neue Nacht bricht heran, mit ihr ein weiterer Tsunami-Wellen-Sturm und so gut wie kein Schlaf. Langsam stoße ich an meine Grenzen. Als der neue Tag erwacht, hat meine App rund siebzig Wehen im Abstand von fünf bis zehn Minuten gezählt.

„Jetzt reicht’s! Ich rufe im Krankenhaus an!“, ruft Alex. Aber auch dort sagt man ihm, dass die Wehen alle drei bis fünf Minuten auftreten sollten, damit wir uns auf dem Weg machen können. Ja, ja ich weiß doch! Aber ich kann nicht mehr!

Ich lege mich in die warme Badewanne und anschließend wieder ins Bett. Um in einer möglichst ruhigen Stimmung zu bleiben, lasse ich Meditationsmusik laufen und gebe mein Bestes im Hier und Jetzt zu bleiben, so wie ich es gelernt habe. Schließlich kann ich nichts anderes tun, als das hier durchzuziehen. Es gibt einfach kein Zurück mehr. Ich weiß nicht wie lange ich daliege und atme und töne und döse. Irgendwann vernehme ich aber ein deutliches: Plopp! Kurz darauf spüre ich etwas Feuchtes am Po, zwischen den Beinen, auf der Matratze. Alles ist klatschnass. Habe ich etwa in die Hose gepinkelt? Nein! Das muss meine Fruchtblase gewesen sein!

„Alex! Ich glaube meine Fruchtblase ist geplatzt!“

Mein Mann stürmt ins Zimmer herein. Wir rufen erneut im Krankenhaus an. Diesmal gibt man uns grünes Licht, wir dürfen uns endlich auf den Weg machen. Weil ich davon ausgehe, dass es erst jetzt so langsam richtig losgeht, nehme ich nochmal eine heiße Dusche und schmiere mir im Anschluss in aller Ruhe – so wie es die Wehen zulassen – ein paar Butterbrote. In den vergangenen Stunden hat mich zwar nicht nur meine Kraft, sondern auch mein Appetit verlassen. Aber ich habe mir oft genug sagen lassen, dass man nach der Geburt ausgehungert ist und dass das Essen im Krankenhaus nicht das Beste sei.

Dann machen wir uns auf den Weg.

Als wir am Krankenhaus ankommen, finden wir keinen Parkplatz in der Nähe des Eingangs. Ein paar Straßen weiter quetscht Alex sich in eine enge Parklücke und wir machen uns zu Fuß auf den Weg. Alex trägt die Taschen mit Babysachen und Proviant, ich ziehe meinen kleinen Rollkoffer hinter mir her, den ich fürs Krankenhaus gepackt habe. Unter anderem Einen dünnen Bademantel, ein Nachthemd zum Stillen, Nippel-Balsam und Recovery-Spray für wunde Brüste und mögliche Geburtsverletzungen. Alle paar Minuten muss ich allerdings innehalten. Die Wehen sind stärker geworden, treten häufiger auf. Die genaue Zeit habe ich aus den Augen verloren, für das Zählen mit der App fehlte mir irgendwann die Konzentration. Ich kralle mich an Straßenlaternen oder Bauzäunen fest und atme, ächze, stöhne.

„Was hat die Frau?“, fragt ein kleines Mädchen auf der anderen Straßenseite ihre Mama. Ich kann die Antwort nicht hören, weil ich eine weitere Welle vertönen muss.

Endlich in der Geburtsstation angekommen begrüßt uns die diensthabende Hebamme. Ihr Name ist Hannah und sie schließt mich erstmal gemütlich an ein CTG-Gerät an, um den Herzschlag des Kindes zu überprüfen.

„Kommen Sie erstmal an. Ich bin in zwanzig Minuten wieder da.“, sagt sie und schlendert aus dem Raum, in dem ich auf einer Liege an das Gerät angeschlossen bin und meine Wehen durchstehe.

„Erstmal ankommen…“, denke ich und spüre allmählich einen Anflug von Wut in mir aufsteigen. Ich will nicht mehr warten oder ankommen. Wenn das hier erst der Anfang ist, wie soll es denn dann werden, wenn es richtig losgeht? Ich ziehe ernsthaft in Erwägung, nach dem Lachgas zu fragen. Oder doch direkt nach einer PDA? Irgendwas lasse ich mir geben! Und auf jeden Fall will ich gleich im Kreißsaal erstmal in die Badewanne!

Alex packt währenddessen eines der Brote aus, die wir uns mitgenommen haben. Als er genüsslich hineinbeißt, wird der kleine, ohnehin schon stickige Raum so stark von Wurstgeruch erfüllt, dass sich mir auch noch der Magen umdreht.
„Sag mal, spinnst du! Pack sofort das Brot weg, du Blödmann! Oooooooh!“, fauche ich und töne direkt laut hinterher.

„Tschuldigung!“

Nach einer gefühlten Ewigkeit kommt Hannah wieder herein und fragt, ob sie meinen Muttermund ertasten darf, um zu sehen ob und wie weit er sich geöffnet hat. Ich nicke und bin froh, dass hier überhaupt etwas passiert.

Das Grauenvolle am Ertasten meines Muttermundes ist, dass es exakt während einer Wehe geschieht. Der Schmerz verdoppelt sich in dem Moment, als Hannah zwei Finger in meine Vagina schiebt und diesmal töne ich nicht mehr, diesmal schreie ich laut auf.

„Ihr Muttermund ist ja vollständig geöffnet! Ihr Baby kommt!“

Ich höre Hannah wie aus weiter Ferne. Sie klingt auf einmal gar nicht mehr so gemütlich. Hat sie gesagt, dass mein Baby kommt? Müsste es nicht jetzt erst so langsam losgehen, wo ich doch gerade erst im Krankenhaus angekommen bin? Mir schießen Tränen in die Augen. Ich weine vor lauter Erleichterung.

„Dann mal schnell in den Kreißsaal!“, sagt Hannah und hilft mir auf. Alex trägt unser Gepäck, Hannah stützt mich und geleitet uns durch die Korridore der Geburtsstation, wo ich immer wieder innehalten muss. Die Wehen fühlen sich jetzt anders an. Ich verspüre den starken Drang etwas aus mir herauszupressen, als müsste ich furchtbar dringend auf die Toilette fürs große Geschäft. Als Hannah die Tür zum hellen Kreißsaal öffnet, fackele nicht lange. Ich erspähe ein Bett mit einer hohen Lehne und klettere hinauf. Mit dem Oberkörper vorgebeugt halte ich mich an der Lehne fest, denke noch daran, meine Knie nach innen zu drehen und dann geht es los. Atmen, lockerlassen, schreien, nichts zurückhalten. Durchstehen. Und auf einmal: „Das Köpfchen ist schon zu sehen! Wollen Sie mal fühlen?“

Bitte was? Ich führe eine Hand zwischen die Beine spüre feuchtes weiches Haar. Er hat Haare! Ich nehme nochmal meine ganze Kraft zusammen und höre auf Hannahs Anweisungen. „Jetzt noch einmal pressen!“

Und dann ist er da. Mein Sohn ist geboren. Schlagartig hören die Wehen auf. Ich höre seine Stimme. Er liegt in meinen Armen, kuschelt sich an mich, Alex darf die Nabelschnur durchschneiden. Der Raum ist erfüllt von der Meditationsmusik, die mich den ganzen Tag über schon begleitet. Ich habe gar nicht bemerkt, dass Alex sie eingeschaltet hat.

Die Nachgeburt spüre ich kaum, die Hebammen zeigen mir den Mutterkuchen, der den Kleinen die letzten Monate lang versorgt hat. „Wollen Sie den mit nach Hause nehmen?“ Aber ich verneine. Das muss für mich nicht sein. Der Kleine findet seinen Weg an meine Brust und saugt. Wahnsinn! Ein Baby, mein Baby trinkt an meiner Brust. Ich bin wie in Trance und trotzdem hellwach. Hier. Jetzt.

Der Kleine wird untersucht, eine Ärztin versorgt mich und sagt, sie würde am liebsten dableiben, weil die Atmosphäre im Raum so entspannt ist. Kein Dammriss, aber ich muss genäht werden, was ich fast unangenehmer empfinde, als die Geburt. Für mich stimmt das, was mir die meisten Mütter vorhergesagt haben wirklich: Wenn es vorbei ist, hast du die Schmerzen schon vergessen. Eine Hebamme hilft mir beim Aufstehen, geleitet mich zur Toilette, wo ich versuchen soll Wasser zu lassen. Alles läuft problemlos. Mein Appetit ist zurück und im Kreißsaal beiße ich in das leckerste und wohlverdienteste Käsebrot, das ich bis zu diesem Zeitpunkt je gegessen habe.

An dieser Stelle könnte die Geschichte enden. Und sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende.

In der Realität fängt das Ganze jetzt aber erst richtig an.

Es ist ein warmer Freitagabend im Mai. Alex und ich schauen eine spannende Serie mit Kate Winslet. Gebannt sitze ich im Sessel und habe die Füße hochgelegt, weil meine Beine schon wieder so schwer sind – da spüre ich ein heftiges Ziehen im Unterleib. Es hält länger an, als ein gewöhnlicher Krampf. Ist das eine Wehe? Vom Schmerzlevel ist es auszuhalten, aber mein Herz klopft vor Aufregung. Geht es etwa los? Werde ich schon morgen Mutter sein? Der errechnete Geburtstermin ist zwar erst in einer Woche, aber halte ich wohlmöglich schon morgen mein Baby in den Armen?

Die Krämpfe kommen und gehen in regelmäßigen Abständen ungefähr alle zehn bis zwanzig Minuten. Und wenn ich jetzt genau darüber nachdenke, fällt mir auf, dass ich über den ganzen Tag verteilt bereits mehr oder weniger leichte Vorwehen spürte, denen ich aber keine große Bedeutung beigemessen habe. Sie begannen am Vormittag nach einem Besuch bei meiner Hebamme, wo ich mir eine ihrer Zusatzleistungen gegönnt habe: eine entspannende Schwangerschaftsmassage.

„Ich bin tiefenentspannt.“, raunte ich als mich die Hebamme fragte, wie es mir geht. „Und ich bin bereit. Meine Krankenhaustasche ist gepackt, der Kleine kann jetzt ruhig kommen.“

Nach der Massage folgte eine Akupunktur-Sitzung. Seit einigen Wochen piekst mir die Hebamme regelmäßig feine Nadeln in Beine und Füße, die bewirken sollen, dass der Geburtsvorgang beschleunigt und weniger schmerzhaft ist. Es gibt eine Vielzahl geburtsvorbereitender Methoden, die dies versprechen. Zum Beispiel soll es die Wehenschmerzen verringern, wenn man einige Wochen vor der Geburt auf seine Ernährung achtet. Die Louwen-Diät zum Beispiel diktiert den Verzicht auf Zucker und Kohlenhydrate in Form von Weißmehl circa sechs Wochen vor dem Geburtstermin. Ein Kinderspiel! dachte ich zumindest, als ich noch am Anfang meiner Schwangerschaft stand. Als es dann aber soweit war, knickte ich ein. Eine Spätschwangerschaft ohne Kinderriegel und Pizza war für mich einfach nicht drin.

Auch der regelmäßige Verzehr von Datteln wird als Methode empfohlen, um einer schmerzhaften, langanhaltenden Geburt vorzubeugen. Mindestens fünf Datteln täglich über einen Zeitraum von mehreren Wochen vor der Geburt. Aber auch das hielt ich nicht durch, weil mir in der Schwangerschaft auf einmal allein vom Anblick der klebrigen Dinger übel wurde. So ist das Setzen feiner Nadeln an bestimmten Punkten in Beinen und Füßen für mich die am einfachsten umzusetzende, geburtserleichternde Methode. Bei meinem letzten Akupunktur-Termin steckte mir meine Hebamme auch eines der Nädelchen in den kleinen Zeh.

„Diesen Punkt nennt man auch Rausschmeißer.“, scherzte sie und tatsächlich spürte ich diesmal ein Kribbeln, das sich durch meinen ganzen Körper zog.

„Da bin ich ja mal gespannt, ob der kleine Mann in meinem Bauch sich jetzt rausschmeißen lässt.“, sagte ich und lehnte mich in meinem Sessel zurück.

Nach einem kleinen Mittagsschlaf zuhause, besuchten Alex und ich meine Schwägerin. Die Straße vor ihrem Haus war für den Autoverkehr gesperrt und eine kleine Band spielte ein Konzert. Wir setzten uns mitten auf die Straße, die Nachbarn organisierten mir mit meinem Kugelbauch sogar einen Klappstuhl, und wir genossen unser erstes Konzert seit langer Zeit des Lockdowns in der Pandemie. Immer mal wieder zwickte es in meinem Bauch. Aber zum ersten Mal seit langem war ich total abgelenkt durch die Musik und die Stimmung und so entspannt von der Massage und dem Schläfchen, dass ich meinen Bauch fast vergaß.  

Und jetzt sind sie auf einmal da, die ersten Wehen. Oder soll ich eher sagen: Wellen? Schließlich habe ich diese ganzen Schwangerschaftspodcasts zum Thema „friedliche Geburt“ rauf und runter gehört, in denen gepredigt wird, dass man die Wehe als Welle betrachten soll, weil der Begriff mehr Kraft verleiht und Wehen – pardon, Wellen – ja auch wellenförmig auftreten.

Welle oder Wehe, hin oder her: ich spüre etwas, das ich zuvor noch nie gespürt habe. Vor lauter Aufregung kann ich mich nicht mehr auf die Serie konzentrieren. Ich lege mich ins Bett, aber an Einschlafen ist nicht zu denken. Alle zehn bis zwanzig Minuten reißt mich eine „Welle“ aus dem Dämmerzustand und ich komme nicht zur Ruhe. Wahnsinn, es geht los! Wahnsinn, vielleicht muss ich gleich schon ins Krankenhaus fahren!  

Irgendwann schlafe ich dann doch ein. Sogar geschnarcht haben soll ich, sagt Alex. Schnarchen, auch so ein Schwangeschaftssymptom, dessen Ende ich mir herbeisehne, genauso wie die Verstopfung, die Hämorrhoiden, den Husten, den dicke Bauch…

Am nächsten Morgen sind die Wehenwellen nicht mehr da. Ich habe nur noch ab und zu Krämpfe, sitze auf dem Balkon und versuche zu entspannen. Die Sonne scheint, der Sommer kommt endlich. Am Nachmittag sind wir bei meiner Schwiegermutter zum Grillen eingeladen und ich sehe keinen Grund der Einladung nicht nachzugehen, denn ich habe Hunger! Bei Schwiegermama verschlinge das halbe Grillbuffet alleine wie eine ausgehungerte Löwin – oder so wie ich aussehe eher wie eine Elefantenkuh, solch einen Appetit habe ich. Heißt es nicht, dass der Appetit schwindet bevor das Baby kommt? Diese Wehen-stürmische Nacht muss falscher Alarm gewesen sein. Zwar packt mich zwischendurch immer wieder eine Wehe und ich muss innehalten, sogar so atmen, wie ich es im Geburtsvorbereitungskurs gelernt habe. Aber das hindert mich nicht am Essen und Pläne schmieden. Meine Mutter ruft an und fragt, ob wir am nächsten Tag an den See fahren. „Na, klar!“ Ein bisschen relaxen am Wasser klingt gerade super für mich.

In der nächsten Nacht kommen die wehenden Wellen allerdings zurück. Es ist heftig. Ich lade mir eine Wehenzähler-App herunter und versuche die Abstände zu zählen. Die Wehen kommen mal alle fünf, mal alle sieben bis zehn Minuten. Die Worte der Hebamme aus dem Geburtsvorbereitungskurs schießen mir durch den Kopf: „Ins Krankenhaus geht es erst, wenn die Wehen alle drei bis fünf Minuten kommen!“

Also atme und töne ich mich durch die Nacht und bin am nächsten Morgen total gerädert. Da die Schmerzen diesmal auch am Tag nicht abklingen, sage ich den Ausflug zum See ab. Ich bin hundemüde, aber nach wie vor davon überzeugt, dass das erst der Anfang ist. Schließlich sind die Abstände zwischen den Krämpfen noch zu lang. Sie kommen alle fünf bis sieben Minuten. Dazwischen übe ich mich im Sekundenschlaf und positiven Mantras: Ich schaffe das, ich schaffe das, ich schaffe das! Aua! Ahhhh! Oooooh!

Ich habe so viele Wehen, dass ich die Unterschiede herausspüren kann. Da gibt es die Wehen vorne im Unterleib, die, die hinten im Rücken ziehen, und die in der Leistengegend. Letztere finde ich am schlimmsten zu ertragen. Der Schmerz frisst sich jedes Mal in meine Hüften und ich bin immer froh, wenn mich stattdessen eine Rückenwehe ereilt – die sind einfacher auszuhalten. Es sind eben die kleinen Dinge, die Freude bereiten.

Eine neue Nacht bricht heran, mit ihr ein weiterer Tsunami-Wellen-Sturm und so gut wie kein Schlaf. Langsam stoße ich an meine Grenzen. Als der neue Tag erwacht, hat meine App rund siebzig Wehen im Abstand von fünf bis zehn Minuten gezählt.

„Jetzt reicht’s! Ich rufe im Krankenhaus an!“, ruft Alex. Aber auch dort sagt man ihm, dass die Wehen alle drei bis fünf Minuten auftreten sollten, damit wir uns auf dem Weg machen können. Ja, ja ich weiß doch! Aber ich kann nicht mehr!

Ich lege mich in die warme Badewanne und anschließend wieder ins Bett. Um in einer möglichst ruhigen Stimmung zu bleiben, lasse ich Meditationsmusik laufen und gebe mein Bestes im Hier und Jetzt zu bleiben, so wie ich es gelernt habe. Schließlich kann ich nichts anderes tun, als das hier durchzuziehen. Es gibt einfach kein Zurück mehr. Ich weiß nicht wie lange ich daliege und atme und töne und döse. Irgendwann vernehme ich aber ein deutliches: Plopp! Kurz darauf spüre ich etwas Feuchtes am Po, zwischen den Beinen, auf der Matratze. Alles ist klatschnass. Habe ich etwa in die Hose gepinkelt? Nein! Das muss meine Fruchtblase gewesen sein!

„Alex! Ich glaube meine Fruchtblase ist geplatzt!“

Mein Mann stürmt ins Zimmer herein. Wir rufen erneut im Krankenhaus an. Diesmal gibt man uns grünes Licht, wir dürfen uns endlich auf den Weg machen. Weil ich davon ausgehe, dass es erst jetzt so langsam richtig losgeht, nehme ich nochmal eine heiße Dusche und schmiere mir im Anschluss in aller Ruhe – so wie es die Wehen zulassen – ein paar Butterbrote. In den vergangenen Stunden hat mich zwar nicht nur meine Kraft, sondern auch mein Appetit verlassen. Aber ich habe mir oft genug sagen lassen, dass man nach der Geburt ausgehungert ist und dass das Essen im Krankenhaus nicht das Beste sei.

Dann machen wir uns auf den Weg.

Als wir am Krankenhaus ankommen, finden wir keinen Parkplatz in der Nähe des Eingangs. Ein paar Straßen weiter quetscht Alex sich in eine enge Parklücke und wir machen uns zu Fuß auf den Weg. Alex trägt die Taschen mit Babysachen und Proviant, ich ziehe meinen kleinen Rollkoffer hinter mir her, den ich fürs Krankenhaus gepackt habe. Unter anderem Einen dünnen Bademantel, ein Nachthemd zum Stillen, Nippel-Balsam und Recovery-Spray für wunde Brüste und mögliche Geburtsverletzungen. Alle paar Minuten muss ich allerdings innehalten. Die Wehen sind stärker geworden, treten häufiger auf. Die genaue Zeit habe ich aus den Augen verloren, für das Zählen mit der App fehlte mir irgendwann die Konzentration. Ich kralle mich an Straßenlaternen oder Bauzäunen fest und atme, ächze, stöhne.

„Was hat die Frau?“, fragt ein kleines Mädchen auf der anderen Straßenseite ihre Mama. Ich kann die Antwort nicht hören, weil ich eine weitere Welle vertönen muss.

Endlich in der Geburtsstation angekommen begrüßt uns die diensthabende Hebamme. Ihr Name ist Hannah und sie schließt mich erstmal gemütlich an ein CTG-Gerät an, um den Herzschlag des Kindes zu überprüfen.

„Kommen Sie erstmal an. Ich bin in zwanzig Minuten wieder da.“, sagt sie und schlendert aus dem Raum, in dem ich auf einer Liege an das Gerät angeschlossen bin und meine Wehen durchstehe.

„Erstmal ankommen…“, denke ich und spüre allmählich einen Anflug von Wut in mir aufsteigen. Ich will nicht mehr warten oder ankommen. Wenn das hier erst der Anfang ist, wie soll es denn dann werden, wenn es richtig losgeht? Ich ziehe ernsthaft in Erwägung, nach dem Lachgas zu fragen. Oder doch direkt nach einer PDA? Irgendwas lasse ich mir geben! Und auf jeden Fall will ich gleich im Kreißsaal erstmal in die Badewanne!

Alex packt währenddessen eines der Brote aus, die wir uns mitgenommen haben. Als er genüsslich hineinbeißt, wird der kleine, ohnehin schon stickige Raum so stark von Wurstgeruch erfüllt, dass sich mir auch noch der Magen umdreht.
„Sag mal, spinnst du! Pack sofort das Brot weg, du Blödmann! Oooooooh!“, fauche ich und töne direkt laut hinterher.

„Tschuldigung!“

Nach einer gefühlten Ewigkeit kommt Hannah wieder herein und fragt, ob sie meinen Muttermund ertasten darf, um zu sehen ob und wie weit er sich geöffnet hat. Ich nicke und bin froh, dass hier überhaupt etwas passiert.

Das Grauenvolle am Ertasten meines Muttermundes ist, dass es exakt während einer Wehe geschieht. Der Schmerz verdoppelt sich in dem Moment, als Hannah zwei Finger in meine Vagina schiebt und diesmal töne ich nicht mehr, diesmal schreie ich laut auf.

„Ihr Muttermund ist ja vollständig geöffnet! Ihr Baby kommt!“

Ich höre Hannah wie aus weiter Ferne. Sie klingt auf einmal gar nicht mehr so gemütlich. Hat sie gesagt, dass mein Baby kommt? Müsste es nicht jetzt erst so langsam losgehen, wo ich doch gerade erst im Krankenhaus angekommen bin? Mir schießen Tränen in die Augen. Ich weine vor lauter Erleichterung.

„Dann mal schnell in den Kreißsaal!“, sagt Hannah und hilft mir auf. Alex trägt unser Gepäck, Hannah stützt mich und geleitet uns durch die Korridore der Geburtsstation, wo ich immer wieder innehalten muss. Die Wehen fühlen sich jetzt anders an. Ich verspüre den starken Drang etwas aus mir herauszupressen, als müsste ich furchtbar dringend auf die Toilette fürs große Geschäft. Als Hannah die Tür zum hellen Kreißsaal öffnet, fackele nicht lange. Ich erspähe ein Bett mit einer hohen Lehne und klettere hinauf. Mit dem Oberkörper vorgebeugt halte ich mich an der Lehne fest, denke noch daran, meine Knie nach innen zu drehen und dann geht es los. Atmen, lockerlassen, schreien, nichts zurückhalten. Durchstehen. Und auf einmal: „Das Köpfchen ist schon zu sehen! Wollen Sie mal fühlen?“

Bitte was? Ich führe eine Hand zwischen die Beine spüre feuchtes weiches Haar. Er hat Haare! Ich nehme nochmal meine ganze Kraft zusammen und höre auf Hannahs Anweisungen. „Jetzt noch einmal pressen!“

Und dann ist er da. Mein Sohn ist geboren. Schlagartig hören die Wehen auf. Ich höre seine Stimme. Er liegt in meinen Armen, kuschelt sich an mich, Alex darf die Nabelschnur durchschneiden. Der Raum ist erfüllt von der Meditationsmusik, die mich den ganzen Tag über schon begleitet. Ich habe gar nicht bemerkt, dass Alex sie eingeschaltet hat.

Die Nachgeburt spüre ich kaum, die Hebammen zeigen mir den Mutterkuchen, der den Kleinen die letzten Monate lang versorgt hat. „Wollen Sie den mit nach Hause nehmen?“ Aber ich verneine. Das muss für mich nicht sein. Der Kleine findet seinen Weg an meine Brust und saugt. Wahnsinn! Ein Baby, mein Baby trinkt an meiner Brust. Ich bin wie in Trance und trotzdem hellwach. Hier. Jetzt.

Der Kleine wird untersucht, eine Ärztin versorgt mich und sagt, sie würde am liebsten dableiben, weil die Atmosphäre im Raum so entspannt ist. Kein Dammriss, aber ich muss genäht werden, was ich fast unangenehmer empfinde, als die Geburt. Für mich stimmt das, was mir die meisten Mütter vorhergesagt haben wirklich: Wenn es vorbei ist, hast du die Schmerzen schon vergessen. Eine Hebamme hilft mir beim Aufstehen, geleitet mich zur Toilette, wo ich versuchen soll Wasser zu lassen. Alles läuft problemlos. Mein Appetit ist zurück und im Kreißsaal beiße ich in das leckerste und wohlverdienteste Käsebrot, das ich bis zu diesem Zeitpunkt je gegessen habe.

An dieser Stelle könnte die Geschichte enden. Und sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende.

In der Realität fängt das Ganze jetzt aber erst richtig an.

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