Herzlich Willkommen zu einer neuen Episode meines Momlife Blogs. Diesmal gehts ums Wochenbett mit all seinen Facetten. Was meine Oma und die umstrittene Johanna Haarer damit zu tun haben, erfährst du, wenn du weiterliest!
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Alles klebt. Das Blut im Schritt, der Schweiß auf der Haut, Das Kind am Busen. Und alles brennt. Die wieder zusammengenähten Vulvalippen beim Wasserlassen. Der heiße kleine Mund, der die wunde Brustwarze umschließt. Feine Kratzer auf der Haut, scharfe Fingernägelchen, die sich beim Saugen gierig ins Fleisch krallen. Ein warmer Schwall erbrochene Muttermilch rinnt an meiner Schulter hinab oder ergießt sich in meinem Ausschnitt, klebt auf der Haut und in den Brustfalten. Die sind auch neu, die Falten unterm Busen. Vorher waren meine Brüste klein. Jetzt lassen sie sich leicht anheben, um an der Unterseite gewaschen zu werden.
Tränen in den Augen. Übermüdung. Panik.
Herzlich willkommen im Wochenbett, die Phase nach der Geburt, die ich mir wirklich ganz anders vorgestellt habe. Richtig gefreut habe ich mich während der Schwangerschaft sogar darauf. Schließlich raten Hebammen und Schwangerschaftsratgeber dazu, sich im Wochenbett ordentlich auszuruhen. Acht Wochen soll das Wochenbett mindestens andauern und die frischgebackene Mutter soll so viel wie möglich liegen, damit sich der Körper regenerieren und der Beckenboden gut zurückbilden kann, was liegend einfacher geschieht. Ich hatte die romantischsten Vorstellungen. Wochenlang im Bett liegen, schmusen mit dem Baby, mich von meinem Umfeld bekochen lassen und baden in einem Hormoncocktail aus Glücksgefühlen. Was kann es Schöneres geben?
Aber die Realität zieht mich schnell auf den harten Boden der Tatsachen zurück.
Zum Schlafen liegt mein Baby nicht in einem Babybett, sondern seit seiner Geburt Nacht für Nacht neben mir auf der Matratze. Das Krankenhaus, in dem ich entbunden habe, verfolgt ein Bindungskonzept. Haut auf Haut lautet die Devise beim sogenannten Bonding, bei dem das Neugeborene so viel und nah wie möglich mit Mama (und auch Papa) engen Hautkontakt pflegt. Das soll dazu führen, dass das Baby sich stets sicher, geborgen und entspannt fühlt.
„Gönnen Sie sich und Ihrem Baby so viel Hautkontakt wie möglich. Stillen oder füttern Sie nach Bedarf Ihres Kindes. Reagieren Sie prompt, angemessen und zuverlässig auf die Signale Ihres Kindes.“ So lauten die drei goldenen Regeln des Bondings, wie ich sie der Broschüre entnehme, die mir die Krankenschwestern auf der Geburtsstation aushändigen.
Weil es mir total wichtig ist, das Urvertrauen meines Sohnes zu stärken, habe ich mich freiwillig für dieses Krankenhaus entschieden. So wie ich es verstehe, wird das Urvertrauen nämlich in den ersten Lebensmonaten eines Menschen stark geprägt und ist Basis für die spätere Persönlichkeitsentwicklung. Lernt man schon früh, dass man den Menschen im eigenen Umfeld vertrauen kann, stehen die Chancen nicht schlecht, auch zu einer stabilen Persönlichkeit heranzureifen, selbstsicher und angstfrei durch die Welt zu gehen.
Ich stamme aus einer Ahnenreihe von Frauen mit traumatischen ersten Kindbetterfahrungen.
„Der schlimmste Tag meines Lebens war der, an dem deine Mutter geboren wurde.“, gibt meine Oma zu. Gefangen im unterdrückerischen Netz aus Patriarchat und katholischer Kirche wurde sie nie aufgeklärt, wusste nicht, dass es Fruchtwasser war, das aus ihrem Leibe rann, musste ihr Kind allein auf dem Rücken liegend aus sich herauspressen, ohne es im Anschluss in die Arme schließen zu dürfen.
„Danach wurde einem das Kind ja direkt weggenommen!“, erzählt Oma. Neun Tage musste sie nach der Geburt mit aufgeplatztem Damm, unbeweglich im Krankenhausbett liegen bleiben, bekam keine Chance zu stillen, durfte nicht mal der Taufe ihrer eigenen Tochter beiwohnen. „Die Deutsche Mutter und ihr erstes Kind“ lautet der Titel des Erziehungsratgebers einer gewissen Frau Dr. Johanna Haarer in Zeiten des Nationalsozialismus, der auch in der Familie meiner Oma im Regal stand. Der Ratgeber wurde zum Standardwerk deutscher, tugendhafter Mütter der NS-Zeit und propagierte, ebenso tugendhafte, gehorsame Kinder zu erziehen. So heißt es in dem Buch unter anderem wörtlich:
„…liebe Mutter, werde hart!
Fange nur ja nicht an, das Kind aus dem Bett herauszunehmen, es zu tragen,
zu wiegen, zu fahren oder es auf dem Schoß zu halten, es gar zu stillen.
Das Kind begreift unglaublich rasch, daß es nur zu schreien braucht,
um eine mitleidige Seele herbeizurufen und Gegenstand solcher Fürsorge zu werden. Nach kurzer Zeit fordert es diese Beschäftigung mit ihm als ein Recht, gibt keine Ruhe mehr, bis es wieder getragen, gewiegt oder gefahren wird — und der kleine, aber unerbittliche Haustyrann ist fertig- […] Nicht entschieden genug kann in dieser
Hinsicht vor falscher Nachgiebigkeit gewarnt werden. Sie ist ganz unnütz, verzieht das Kind und raubt der Mutter Zeit und Kraft. Das Kind wird nach Möglichkeit an einen stillen Ort abgeschoben,
wo es allein bleibt, und erst zur nächsten Mahlzeit wieder vorgenommen. Häufig kommt es nur auf einige wenige Kraftproben zwischen Mutter und Kind an —- es sind die ersten! — und das Problem ist gelöst. (Harer seite 173)
Kurz nachdem ich selbst Mitte der Achtziger Jahre geboren wurde, isolierte das Krankenhauspersonal auch mich von meiner Mutter und legte mich – im wahrsten Sinne des Wortes: mutterseelenallein – in ein Bettchen. Meine Mutter erzählt noch heute wie schlimm sie das fand und dass sie mich und auch meine Schwester, die zweieinhalb Jahre später geboren wurde, so kurz nach der Geburt sehr vermisst hatte.
„ich konnte nicht schlafen und bin durch Krankenhaus gelaufen, um dich zu suchen!“, erzählt sie mir.
Nicht nur das Neugeborene hat das Bedürfnis nach Nähe und Geborgenheit. Auch wir Mütter wollen instinktiv nah bei unseren Babys sein. Aber „damals“ wurde dieser Instinkt unterbunden. Es war üblich Mutter und Kind nach der Geburt zu trennen.
Fakt ist: allem Anfang liegt ein Zauber inne. Ich würde mich selber heute als eher unsicheren und auch misstrauischen Menschen bezeichnen und glaube, dass dies auch mit meiner frühen Kindheit in Verbindung steht (ohne meinen Eltern an dieser Stelle einen Vorwurf machen zu wollen). Es waren andere Zeiten. Johanna Haarers Methoden wurden von Generation zu Generation weitergegeben, hallen nach bis heute.
Jetzt versuche ich eine Cycle-Breakerin zu sein, will den Kreis aus Schmerz und Trauma zerbrechen, und breche trotzdem in Tränen aus.
Nach der Geburt meines Sohnes legt eine Hebamme mein neugeborenes Baby neben mich ins Bett, wünscht uns eine gute Nacht und verlässt das Zimmer. Und obwohl ich nach den tagelangen Wehen und der Geburt hundemüde bin, mache ich in dieser ersten Nacht kein Auge zu, aus Angst meinen Sohn im Schlaf zu überrollen oder nicht mitzubekommen, wenn etwas mit ihm nicht stimmt. Mehr als einmal rufe ich die Nachtschwester, um mir versichern zu lassen, dass alles okay ist, wenn der Kleine zum Beispiel etwas röchelt oder sich zum Schlafen auf die Seite dreht. Ich weine leise, um ihn und meine Zimmernachbarin nicht zu wecken und denke nicht daran, meinem Kind die Windel zu wechseln, sodass das Kindspech am nächsten Morgen hart an seinem kleinen Babypopo klebt und ich wieder weinen muss. Aus schlechtem Gewissen heraus und Wut, weil mir niemand gesagt hat, wie das funktioniert und dass ich das sofort alleine machen muss, das Windeln wechseln.
Als wir aus dem Krankenhaus entlassen werden, fürchte ich die Nächte mit meinem Baby umso mehr, weil ich da nicht mehr den Notfallknopf drücken und eine Krankenschwester herbeirufen kann. Tagsüber lauert bereits die Angst vor der Nacht. Ich schiebe Panik, dass der Kleine ersticken könnte, weil er ein Seitenschläfer ist, obwohl es doch heißt, Babys sollen auf dem Rücken schlafen. Bei Bauch- und Seitenschläfern sei neusten Studien zufolge nämlich das Risiko für den plötzlichen Kindstod erhöht. Plötzlicher Kindstod, meine größte Horrorvorstellung. Ich bin besorgt, weil meine Matratze so weich ist und Babys doch auf einem harten Untergrund liegen sollen mit ausreichender Luftzirkulation. Ich habe Angst, weil ich im Schlaf doch bestimmt nicht merke, wenn etwas nicht stimmt. Also heißt es Wachliegen bis ich aufschrecke und bemerke, dass ich doch eingeschlafen bin vor lauter Erschöpfung. Welch ein erholsames Wochenbett – nicht.
Dann wollen ständig Verwandte und Freunde zu Besuch kommen. Aber niemand bringt etwas zu Essen, dabei habe ich einen solchen Hunger und könnte, seitdem ich stille, jeden Tag zwei Pferde verdrücken. Die Besuchenden fragen auch nicht danach, wie sie uns unterstützen können. Bei einigen rieche ich sogar, dass sie sich noch kurz vor unserer Haustüre ihre Zigarettenkippe ausgedrückt haben. Vom Händewaschen ganz zu schweigen. Alle interessieren sich nur für das Baby. Wie anstrengend das alles ist, versteht niemand. Zum Liegen komme ich so auch nicht. Ich sitze mit der Verwandtschaft auf dem Sofa, ich sitze, um das Baby zu stillen oder ich laufe durch die Wohnung, um es zu beruhigen. Einzig meine Schwester ist ist da, um zu Unterstützen. Einzig eigene Mama kommt an einem Nachmittag vorbei, macht die Küche sauber und kocht Spagetti Bolognese – die leckersten, die ich jemals gegessen habe. Danke, liebste Mama!
Nach zehn Tagen machen wir sogar unseren ersten Spaziergang. Optimistisch ziehe ich eines der Stilloberteile in Größe M mit Leopardenmuster an, das ich mir in der Schwangerschaft gekauft habe. Dazu einen schwarzen Rock, der mir früher immer etwas zu groß war. In den Spiegel schaue ich nicht wirklich, bin zu sehr damit beschäftigt, das Baby für seinen ersten Ausflug anzuziehen. Aufgeregt schiebe ich dann zum ersten Mal den Kinderwagen mit meinem kleinen, schlafenden Baby durch die Straßen. Ich grinse wie ein Honigkuchenpferd, bis ich an einer Schaufensterscheibe vorbeilaufe und angesichts meines sich darin reflektierenden Spiegelbildes erstarre: Ich sehe fürchterlich aus! Der zu große Rock ist mittlerweile zu eng. Mein Hintern ist enorm gewachsen, meine Hüften mächtig in die Breite gegangen. Außerdem befinde ich mich jenseits einer Oberteilgröße M. Mein Bauch wölbt sich nach vorne und ich bereue es, keinen BH darunter zu tragen. Ich fühle mich plötzlich sehr unwohl in meinem Körper, der gar nicht mehr meiner zu sein scheint. Ich erkenne mich nicht wieder. Als ich den Kinderwagen in den Drogeriemarkt schiebe, kommen mir die Tränen. Nicht nur, weil ich mich soeben im Spiegel gesehen habe. Auf einmal werde ich ganz sentimental, weil ich vor kurzem erst schwanger hier an der Kasse stand und die ersten Windeln für mein ungeborenes Kind gekauft habe. Jetzt ist das Baby da und wir gehen einkaufen, ganz normaler Alltag, der mich heulen lässt. Sind das die Hormone? Dieser Spaziergang macht mich völlig fertig. Wir laufen bestimmt eine Stunde lang durchs Viertel. Das Baby verschläft seinen ganzen ersten Spaziergang und irgendwann fühle ich eine Schwere im Beckenboden. Ich muss mich dringend hinlegen.
Der Abend bricht herein, die Nacht lauert. Die Dämmerung lässt in mir erneute Tränen aufsteigen. Eine weitere Nacht alleine mit Baby wartet auf mich. Alex hat zwar auch zwei Monate lang Elternzeit. Da er allerdings schnarcht, schläft er schon seit einiger Zeit im Gästezimmer. Außerdem sagt er, dass es doch nur von Vorteil sei, wenn zumindest einer von uns tagsüber einigermaßen ausgeschlafen ist – und zwar er. Dann könne er schließlich mehr im Haushalt machen und mich unterstützen. Ich bin zu übermüdet, um dem etwas entgegenzusetzen. Also heißt es: Me, myself and my Baby all night long.
Die erste Hälfte der Nacht läuft meistens ganz okay. Wenn ich schlafe, träume ich viel und intensiv. Dann meldet sich irgendwann das Baby. Wälzt sich hin und her, ächzt und wimmert. Er hat Hunger. Das Spiel beginnt. Ich lege mich auf die Seite und stille mein Baby im Liegen, da ich einfach viel zu übernächtigt bin, mich jedes Mal aufzusetzen und ihn zu füttern. Zum Glück klappt das bei uns ganz gut. Nach dem Stillen muss der Kleine aber regelmäßig spucken. Deswegen müsste ich ihn eigentlich jedes Mal fürs Bäuerchen hochhalten, aber gerade beim nächtlichen Stillen nicke ich oft ein, der Kleine auch. Wir werden erst wieder wach, wenn er dann spucken muss, seine Verdauung sich meldet oder neuer Hunger. Dann wälzt er sich wieder und ich versorge ihn im Halbschlaf. Seine Windel wird im Laufe der Nacht auch immer voller. Das weiß ich und ich habe ein schlechtes Gewissen, dass ich sie noch immer nicht gewechselt habe. Aber er schläft ja so schön, ich will ihn nicht wecken. Irgendwann muss es aber sein. Irgendwo habe ich nämlich gelesen, dass die Babys anfangen ihr Pipi einzuhalten, wenn ihre Windel zu voll ist – und das ist ungesund. Die Uhr zeigt 3:40 Uhr. Das Baby wälzt und krümmt sich. Die Windel ist dick und voll, da muss jetzt eine neue her. Er weint, will wieder trinken. Also stille ich ihn erstmal. Er hat aber zu viel Milch im Bauch, trinkt, spuckt, schreit, ich beruhige ihn: „Shhh, Shhh, Shhh, kleiner Mann!“
Dann versuche ich ihm so schnell wie möglich die Windel zu wechseln, damit er nicht im selben Moment Pipi auf die Matratze macht – denn das machen Babys gerne, pinkeln beim Windel wechseln. Stress pur! Und natürlich schießt mir ein gebogener Strahl Babypipi entgegen, sobald ich die Windel geöffnet habe. Ich nehmen den Kleine hoch, er kotzt mir über die Schulter, mein Schlafanzug ist nass, sein Schlafsack vollgepinkelt, meine Augen voller Tränen. Ich kann nicht mehr! Aber ich muss. Im Zombiemodus ziehe ich meinem Baby eine frische Windel und einen neuen Strampler an. Dann ziehe ich mir ein trockenes Shirt über, wiege das Baby in den Schlaf an meiner Brust.
Und dann liege ich wach und kann nicht mehr einschlafen. Meine Gedanken kreisen laut. Ich denke daran wie mein Baby, mein einziger Sohn mich eines Tages verlassen wird. Vielleicht geht er ja auch nach Australien! Oder nach Berlin, wie es so viele junge Leute tun. Ausgerechnet nach Berlin, genauso wie meine geliebte Schwester Diana zieht mein Kind nach Berlin und lässt mich hier zurück! Ach, du meine Güte! Und dann werde ich ganz traurig und kuschele mich eng an mein kleines Baby und gleichzeitig ärgere ich mich über mich selbst, weil ich in dieser Hinsicht doch nicht werden wollte wie meine eigene Mama, die mit vorwurfsvollem Blick und Tränen in den Augen im Türrahmen stand als ich mit Mitte zwanzig aus der elterlichen Wohnung auszog. Dann kann ich erst recht nicht mehr schlafen. Mittlerweile ist es 5:02 Uhr, gleich fangen die Vögel an zu zwitschern und ich frage mich auf ein Neues, wie ich den neuen Tag überstehen soll.
Ohne Kaffee wird es auch heute nicht gehen. Und dann plagt mich wieder das schlechte Gewissen, weil Babymann seitdem ich wieder mit Kaffeetrinken angefangen habe, mittags kaum noch zu Ruhe kommt. Ob es am Koffein liegt? Es muss am Koffein liegen. Was für eine Rabenmutter ich doch bin! Jetzt schon.
Immerhin liege ich. Happy Wochenbett.
Obwohl ich weiß, dass endloses Scrollen auf Instagram nicht gerade dazu beiträgt, dass ich besser einschlafen kann, greife ich nach meinem Handy – und entdecke eine noch ungelesene Nachricht meiner Schwester. Mit zusammengekniffenen Augen lese ich: „Heeey! Ich kann es kaum erwarten! Noch zwei Tage, dann bin ich bei euch, Schwesti! Und ich bleibe zwei Wochen lang!“ schreibt sie. Und wieder kommen mir die Tränen. Diesmal vor Freude und Erleichterung.