Unter Leute nach dem Lockdown – Das erste Mal Ausgehen als Mama

Das erste Mal Ausgehen ohne Baby. Menschen, so vielen Menschen! Wir müssen uns durch sie hindurch zwängen, um zu den Toiletten zu gelangen. Wenige tragen Maske. Am Einlass wurde nicht mal der Impfstatus kontrolliert und ich fühle mich wie 2019. Maske an oder Maske aus? Ich weiß nicht was ich tun soll. Mit der Maske bin ich mittlerweile vertraut, fühle mich wie Sheherazade aus 1001 Nacht. Ich mag es, wenn man mein Gesicht nicht vollständig sieht, habe Gefallen daran gefunden, in der Öffentlichkeit unbemerkt Grimassen zu schneiden und meinem Resting Bitchface freien Lauf zu lassen. Also behalte ich meine Maske an, nur um sie im stickigen Konzertsaal wieder unters Kinn zu schieben, um besser atmen zu können.

Aber – argh! – gerade in geschlossenen Räumen sollen doch die Viren lauern und ich hatte grad erst Covid! War kein Spaß. Also schiebe ich die Maske wieder hoch, komme mir beobachtet vor. Die anderen glauben doch, dass ich spinne.

Wir stehen an der Bar während die Sounds der Vorband noch immer durch die Halle dröhnen. Es ist fast neun. Sollte das Konzert nicht um acht anfangen? Ich bin anspannt, denke ans Baby zuhause, das seit seiner Geburt zum ersten Mal einen Abend ohne Mama verbringt. Und ich, die Mama, ohne Baby…

Es ist stickig, ich schiebe die Maske wieder runter. Die Jungs hinterm Tresen ignorieren uns. Auf einmal tippt mir jemand auf die Schulter. Als ich mich umdrehe, kommt mir ein Typ nah – näher als es in den vergangenen Jahren erlaubt war. Ich weiche zurück. Er startet Smalltalk: „Ist das hier ein guter Platz, um Getränke zu bestellen?“ „Keine Ahnung!“ nuschele ich und drehe mich weg. Einfach überhaupt nicht fähig für diese Situation. Fremde Menschen, die mit mir reden wollen. (Post) Pandemie-Kommunikation. Ich ziehe die Maske ganz schnell wieder über die Nase. Pandemie, Isolation und Abstand halten. Momlife-Bubble und Babysprache. Meine Social Akwardness hatte genug Zeit zu wuchern und sich auszudehnen.

Endlich bekommen wir Getränke. Ich beneide Alex, der seine Cola aus der Kunststoffflasche trinken darf. Meine Fassbrause muss ich aus einem dieser Plastikbecher trinken, die nur mit kaltem Wasser ausgespült werden und an denen noch die Lippenabdrücke der Vortrinker kleben. Ich ekle mich, versuche die Plörre so schnell wie möglich runterzukippen. Bier wäre jetzt nicht schlecht, um wenigstens locker zu werden. Aber ich stille ja noch, bin lebendiger Schnuller für ein kleines Wesen, dass ohne meinen Busen nicht einschlafen kann. Grelles Licht erhellt den Saal, die Vorband ist endlich weg. Aber es dauert trotzdem noch bis es losgeht. Ich bin genervt, kann nicht entspannen. Neben mir zündet sich jemand eine Kippe an und ich werd zur Spießerin. „Warum raucht das Arschloch hier?“

Der Qualm verfängt sich in meinen Haaren, in meiner Maske. Jemand rempelt mich an. Ich kann das nicht mehr unter Menschen! Ich will nach Hause, kein Bock mehr!

Ihr fuckt mich alle ab!

Auf einmal wird es dunkel. Die Bühne erstrahlt in bunten Farben, die Menge jubelt. Vertraute Klänge dringen in meine Gehörgänge. Meine Band betritt die Bühne, formiert sich unter der glitzernden Diskokugel. Unsere Band – endlich. Die unsichtbare Trennwand zwischen mir und den anderen löst sich auf. Wir sind eins, feiern dasselbe: gute Musik und so tun, als wäre alles in Ordnung. Ich tanze so, wie ich es lange nicht getanzt habe. Der Sound ist Balsam, übertönt das Knacken meiner eingerosteten Hüften. Danke für das hier. Genau das habe ich gebraucht.

Genau dafür hat sich alles gelohnt.

Khruangbin, Carlswerk Köln, 6.4.2022

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