Vom Druck (k)ein zweites Kind zu bekommen

„Hallo liebe Esther. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag. Ich wünsche dir alles Gute und mehr Kinder.“
Mein Vater gratuliert mir zum Geburtstag und meint es gut. Trotzdem rolle ich mit den Augen. Da ist wieder dieses Thema, das auch sonst immer wieder aufkommt: „Ihr wollt ja wohl kein Einzelkind großziehen! Wenn ihr zwei habt, können die sich miteinander beschäftigen!“
Und ich nicke dann und sage: „ja“ und meine es manchmal auch so, manchmal aber auch nicht.

Was die Kommentare bezüglich eines zweiten Kindes auf jeden Fall hinterlassen, ist dieses Gefühl, dass wir noch immer nicht genug sind, meine kleine Familie und ich, dass immer noch etwas fehlt. Dabei wird die Tatsache völlig ausgeklammert, dass wir, neben unserem einjährigen Sohn, schon seit nunmehr 14 Jahren ein Kind haben.
Meine Stieftochter, die zwar „nur“ alle zwei Wochen zu uns kommt, ist fester Bestandteil unserer Beziehung und Grund dafür, dass wir nicht schon längst wie so viele andere Paare in die große weite Welt rausgezogen sind. Ich meine, Köln ist cool, aber man muss hier echt nicht sein ganzes Leben verbringen, wenn man nicht muss. Auswandern hätte allerdings bedeutet, die Kleine kaum zu sehen und das kam nicht in Frage.

„Ich plane noch ein zweites Kind!“ sagt Lena aus dem Babykurs und ich höre mich sagen: „Ja, ich auch!“, weil so sieht doch eine „richtige“ Familie aus: Mutter, Vater, mindestens 2 Kinder, ein Hund. Okay, Hunde kann ich nicht ausstehen. Aber ich liebe meine Schwester so sehr und schließlich soll mein Sohn später nicht „alleine“ sein, wenn wir mal nicht mehr sind, oder?
Und gleichzeitig spüre ich wieder diese Anspannung, diesen Druck in der Brust. Druck, Druck, Druck, wir sind hier noch nicht fertig!

Meine Schwangerschaft war hart, das muss ich ganz ehrlich sagen. Noch immer empfinde ich nicht nur pure Freude wenn ich mir Fotos von mir mit Babybauch ansehe. Mir war übel, Risiko auf Schwangerschaftsvergiftung, ich hatte einen schlimmen Husten, Schmerzen und vor allem hatte ich Angst. Angst vor dem Verlust, dass etwas nicht stimmt, vor dem, was ich nicht kontrollieren konnte. Bevor unser kleines Wunder geboren wurde, hatte ich eine Fehlgeburt, einen Missed Abort. So heimtückisch und gemein und grausam. Diese Angst davor, dass es nochmal passieren könnte, begleitete mich durch die ganze Schwangerschaft. Ich hangelte mich von Tag zu Tag lauschte auf jede Regung in meinem Körper und versuchte krampfhaft alles richtig zu machen.

Und jetzt ist er da, unser Sohn! Und: ja! Er ist perfekt, jeden Tag und jede Nacht, jede Stunde, Minute, Sekunde sind wir fassungslos wie süß und toll er ist.
„Also das haben wir drauf, tolle Kinder machen!“ sage ich scherzhaft zu meinem Mann und ertappe mich oft dabei, wie ich mir vorstelle wie das so wäre mit einem zweiten Kind. Aber auch dieser Gedanke macht Angst. Im Moment ist es für mich unvorstellbar ein anderes Kind genauso zu lieben wie dieses. Und selbst wenn da noch eins käme, habe ich jetzt schon Angst meinen geliebten Sohn zu vernachlässigen.

@schlogger hat mal gepostet, dass sie manchmal ihren älteren Sohn vermisst, weil ihre Tochter so viel von ihr abverlangt.
Noch dazu bin ich grad 37 geworden. Ich wollte nie eine „ältere“ Mutter sein, bin es aber geworden und das ist vollkommen ok. Das zweite würde ich trotzdem erst bekommen wollen, wenn mein Sohn drei ist. Er stillt noch (auch so ein Thema), schläft im Familienbett und ich genieße es so sehr. Und doch ist da dieser Druck: Wir sind nicht genug, wir sind noch nicht komplett, oder? Wer macht mir diesen Druck? Bin ich es? Oder doch das konservative Umfeld?

In meiner Schwangerschaft dachte ich: „Wow! Wenn dieses Kind da ist, dann sind wir sowas von komplett!“ Warum dann jetzt schon wieder alles auf Anfang? Warum dieser innere Druck, es schnellstmöglich wieder zu versuchen? Mein Mann ist da anders, entspannter und er sieht auch uns als Paar und unsere zur Verfügung stehenden Ressourcen, die jetzt schon oft an ihre Grenzen stoßen. Für ihn sind wir genug. Und für mich im Grunde auch.

Ein zweites Kind würde noch mehr Einbußen in meine eigenen Ressourcen und meine eigene Freiheit bedeuten. Sich aufopfern, ein Muster, das ich aus meiner Familie kenne. Und wieder einmal merke ich, dass ich nur den Erwartungen anderer hinterherzulaufen scheine. Mindestens zwei Kinder…so gehört sich das…

Und dann liege ich wieder wach neben meinem Kleinen, der leise schnaubt und ich streichle ihm über den Kopf und denke: „du bist genug, wir sind genug! Alles andere ist ein Bonus aber keine Pflicht. Ich liebe dich. Bedingungslos!“

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