VERGÄNGLICHES GELB

Dezember 2019. In China infizieren sich immer mehr Menschen mit dem neuartigen Coronavirus. Ich sitze im REWE to Go im Nürnberger Hauptbahnhof und trinke Cappuccino aus einem Pappbecher mit Plastikdeckel. Shame on me…

 

Es ist Sonntagfrüh. Von meinem Platz aus kann ich auf die Bananenauslage gucken. Chiquita. Drei Weiber kommen an.
„Sollen wir auch Bananen?“
Eine von ihnen hebt ein Bündel an, ruft: „hier sind doch drei! Nehmen wir die!“
Die Zweite rümpft die Nase, reißt ihr die Bananen aus der Hand.
„Du musst gucken!“ schnauzt sie.
„Was denn?“
„Ja, wenn die so gedetscht sind, kauf ich die nicht!“
Also wühlen und drücken die Weiber in dem Bananenhaufen rum, auf der Suche nach den perfekten, krummen, tropischen Früchten. Und ich denke mir: Armes Deutschland.

Mit meinem Pappbecher in der Hand steige ich wenig später in den ICE zurück nach Köln. Ich habe einen Kater, das Konzert von letzter Nacht sitzt mir in den Knochen, Laura Lee am Bass geht mir nicht aus dem Kopf, und am liebsten würde ich mich nach der Zugfahrt zuhause auf die Couch legen und den Rest des Tages gar nichts mehr tun, aber meine Oma hat heute Geburtstag (Fuck, der wievielte schon?!) und wir werden bereits das Mittagessen verpassen. Mindestens zu Kaffee und Kuchen sollten Alex und ich uns blicken lassen. Wenn ich nur nicht so müde wäre. Wenn ich nur nicht so null Bock hätte auf die Fragen, die einem bei so Familientreffen gestellt werden. Ich bin kaputt.

Wir haben in ner Air BnB Wohnung gepennt. Bei Venus und Ibrahim aus Sierra Leone. In einem Bett, das nach Pomade roch am Fenster direkt an einer Kreuzung. Nachts war es erstaunlich ruhig, trotzdem konnte ich nicht richtig pennen. Der Boden vibrierte, wenn  Lastwagen am Fenster vorbeibretterten. Das Bett knarrte, wenn ich mich umdrehte und ich fragte mich, wie viele Leute schon darin geschlafen hatten. Das frag ich mich halt überall. Wer war hier vorher? Als könnte ich die Energien spüren von denen, die hier vor mir lagen. Als gingen sie in mich über. Trotzdem reise ich gerne und penne in fremden Betten.

Und dann sitzen wir an Omas Esstisch mit meinen Eltern, der Familie und den alten Freunden meiner Oma. Viele der Alten sind schon tot. Auch Opa, Krankenhauskeim, 2015. Und vor kurzem starb auch Henrys Frau an Demenz. Und Toni, der mir als ich noch ein Kind war bei Kellerpartys oft einen Heiermann zugesteckt hat. Selbstmord. Neulich habe ich alte Videokassetten digitalisiert, da ist er zu sehen und lacht laut. Manchmal sind die, die am lautesten lachen die Traurigsten. Aber an diesem Nachmittag ist keiner traurig, meine Familie stellt mir auch keine unangenehmen Fragen, es ist einfach schön, der Kater verfliegt und ich bin dankbar für dieses Zusammensein.

Am Abend sitze ich endlich auf meiner Couch und sehe fern. Einen Beitrag über einen Künstler, der für ne Ausstellung mit Klebeband eine Banane an die Wand geklebt hat. Vergängliches Gelb, nannte er das Ganze. Aber dann kam ein anderer Dude, hat die Banane einfach abgemacht und gegessen, machte kurzerhand eine neue Kunstaktion daraus und nannte sie: Hungry Artist.

Und ich habe keine Ahnung, warum ich jetzt darauf komme. Vielleicht, weil ich meine Oma vermisse. Und weil ihr dreiundachtzigster Geburtstag gehüllt war in vergängliches Gelb.

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