DAS SCHEIßSPIEL

Foto: Nathalie Carton Lou

Am Sonntag (3.11.2019) hatte ich die Ehre bei einem Spendenlauf für den Kölner Frauengeschichtsverein mitzulaufen und eine Erzählung vorzulesen.

Zum 33-jährigen Jubiläum hatte sich der Kölner Frauengeschichtsverein ein besonderes Event ausgedacht: Verdiente Kölner Frauen, durften am 3.11. bei einem Staffellauf, (der der Spendenakquise für den Verein diente) durch die Kölner City ihre „Aktions-, Biographie- und Lieblingsorte oder -Personen“ vorstellen und ich freute mich riesig über die Einladung von Irene Franken (Mitbegründerin), einen Beitrag dazu zu leisten.

Neben Frauen wie der Komikerin Hella von Sinnen, sprach auch die Holocaust-Überlebende Tamar Dreifuß vor der Schwelle der Erinnerung – einem Denkmal in Form einer alten Bahnschwelle für die Opfer der Deportation und nationalsozialistischer Vernichtung, unscheinbar platziert in einer Ecke auf der Domplatte außerhalb des Kölner Hauptbahnhofes. Das Mahnmal gibt es schon seit 2006, allerdings hatte ich noch nie zuvor davon gehört. Die Erzählungen von Tamar Dreifuß und die Inschriften auf dem Denkmal ließen mich erschüttern.

„Viele Beamte, Angestellte und Arbeiter der Deutschen Reichsbahn waren in der Zeit des Nationalsozialismus an der Deportation von Millionen Menschen beteiligt.
Nach genauen Zugfahrplänen wurden Frauen, Männer und Kinder aus allen Teilen Europas – meist in Güterwaggons gedrängt – in die Konzentrations- und Vernichtungslager abtransportiert.

Die deutsche Bahn AG hat die Reichsbahn übernommen, weigert sich aber bis heute, in ihren Räumen und Bahnhöfen die Einbindung der Reichsbahn in die Verbrechen der Nazis öffentlich zu dokumentieren und zu bedauern.“

So lauten zwei Inschriften auf den Messingtafeln, die auf der Schwelle angebracht sind. Tamar Dreifuß war eine der Menschen, die deportiert wurden. “Sie überlebte das Ghetto in Wilna und konnte während der Deportation mit ihrer Mutter fliehen.” Die erschütternde Geschichte dieser Flucht erzählte sie an diesem Sonntagnachmittag vor der Schwelle am Dom.

Tamar Dreifuß beklagte die unglückliche Platzierung des Denkmals, in einer unsichtbaren Pissecke  zwischen Hauptbahnhof und Dom, oft von Müll umgeben oder von Passanten als Sitzbank genutzt. Sie setzt sich unermüdlich für das Denkmal ein und  und ich musste an Theodor Wonja Michael, der vor kurzem gestorben war und dessen Trauerfeier ich in einige Tage zuvor besucht hatte. Auch er überlebte die NS-Diktatur und setzte sich bis zum Ende seines Lebens gegen Rassismus ein. (Ich werde demnächst mehr über meine Begegnungen mit im berichten).

Meine Staffelstation war der Kölner Heumarkt und freute mich besonders darüber, dafür einen nagelneuen Text zu schreiben. Ein Video von meinem Vortrag könnt ihr euch nachfolgend ansehen. Darunter gibt es den Text zu lesen. Wer den Kölner Frauengeschichtsverein unterstützen möchte, findet Infos dazu hier.

 

[youtube https://www.youtube.com/watch?v=fmeITu-M2OU]

DAS SCHEIßSPIEL

Meine Schwieger-Oma Anneliese Schmitz hat mir immer viel aus ihrem Leben hier in Köln erzählt. Nicht nur vom Krieg und vom Adolf und davon, dass sich die grausame Geschichte nicht wiederholen dürfe. Sie erzählte auch von ihrem allerersten Kuss, genau hier unterm Stätz der Reiterstatue. Ihren letzten Kuss erhielt sie von ihrem Enkel, meinem Mann am Sterbebett, denn sie ging vor einem Jahr von uns. Möge sie in Frieden ruhen. Am Ende ihres Lebens nannte sie eben dieses ein „Scheißspiel“. Ein Scheißspiel, wenn du im Krieg aufwächst und ein Scheißspiel, im fortgeschrittenen Alter mit einem welken, schmerzenden Körper, der nicht mehr das tut, was du willst. Wenn es zu spät ist. Und auch wenn ich dankbar bin dafür, dass ich leben darf und die guten Seiten dieses Lebens zu schätzen weiß, so muss ich ihr beipflichten. Manchmal ist das Leben ein Scheißspiel.

Neulich meinte mein Vater, der Mensch müsse länger leben, damit er all das erreichen könne, was er sich vorgenommen hat. Ist die Rente endlich erreicht, ist nämlich gar nicht mehr viel Leben übrig. Und mein Vater hatte sich viel vorgenommen. Im Herzen ist er ein Künstler. Die meiste Zeit seines Lebens verbrachte er allerdings schuftend. Heute ist er in Rente und sitzt Abend für Abend rauchend, mit überschlagenen Beinen und Lesebrille auf der Nasenspitze an seinem Computer und schreibt. Von mir, seiner Tochter, verlangte er, dass ich es lese, korrigiere und idealerweise für ihn veröffentliche. Schließlich hat das bei mir auch geklappt und das ist jetzt seine letzte Chance sich doch nochmal künstlerisch auszudrücken. Aber ich weigerte mich zunächst das zu lesen, was er da geschrieben hat. Ich brauchte ein Jahr bis ich es tat. Weil da Wut war in mir. Auf ihn.

Meine Eltern hatten es nicht immer leicht. Mein Vater musste Anfang der 80er Jahre aus Ghana fliehen und kam eines eiskalten Wintermorgens zunächst in Berlin an. Später ging es für ihn nach Trier, wo er in einer Band spielte und meine Mutter kennenlernte, die dort kellnerte, um sich ein Studium zu finanzieren und wo mein Leben seinen Anfang nahm. Aber in Trier gab es keine vernünftige Arbeit. Von dem spärlichen Kellnergehalt meiner Mutter konnten sie nicht überleben. Die beiden zogen nach Köln, in eine kleine Einzimmerdachgeschosswohnung nach Kalk, die spätestens dann zu klein wurde, als meine kleine Schwester im Anmarsch war. Aber meine Eltern fanden keine größere Wohnung, denn mein Vater war Afrikaner. Die Leute schlugen ihm und meiner hochschwangeren Mutter die Tür vor der Nase zu. „Ein Neger? In unserer Wohnung? Nä!“ Es dauerte ewig, bis sie endlich die 4-Zimmer Wohnung ohne Balkon in der Innenstadt fanden, in der sie noch heute leben und in der ich aufwuchs.

Meine Mutter kellnerte weiter, um uns über die Runden zu bringen. Das geplante Studium rückte in weite Ferne. Um sich etwas dazuzuverdienen, stellten sich meine Eltern an den Wochenenden auf die Flohmärkte der Stadt um Bilder zu verkaufen die mein Vater malte, und Mützen, die meine Mutter häkelte. Denn auch die Arbeitssuche erwies sich als schwierig für meinen Vater. Erst nach langem Suchen fand der gelernte Automechaniker eine Anstellung als Wasserinstallateur.

In meinem Buch „Wurzelbehandlung“ schreibe ich:

„Seit ich denken kann, steht er in aller Herrgottsfrühe auf und fährt zur Arbeit. Heute steht er am Fließband. Damals war er Wasserinstallateur und wurde von seinen Arbeitskollegen schikaniert. Aber das ist eine andere Geschichte.“

Diese andere Geschichte kannte ich lange Zeit nicht, doch sie bestand aus Rassismus und Ausbeutung. Tagtäglich wurde mein Vater rassistisch beleidigt, angegriffen und es wurden ihm Aufgaben zugetragen, die ein Mensch alleine gar nicht bewerkstelligen kann, ohne sich damit körperlich zugrunde zu richten. Aber mein Vater tat es, denn er hatte keine Wahl. Und all das, den Schmerz, die Wut, die Erniedrigungen, brachte er mit nachhause. Die Ursache für seine schlechte Laune kannte ich als Kind allerdings nicht. Denn sie wurde totgeschwiegen.

Die Arbeit war für beide Eltern nicht leicht. Mamas Schichten begannen in der Regel um sechs und endeten nicht vor 23 Uhr. Meine Mama fuhr jeden Abend mit der U-Bahn vom Ebertplatz hier zum Heumarkt ins Maredo Steakhaus. Und immer blieb die Bahn im Tunnel zwischen Appelhofplatz und Neumarkt stehen und Mama war spät dran. Im Sommer baute sie dann die Terrasse auf und nachts wieder ab, rannte durch den Laden, erfüllte lächelnd Getränke und Speisewünsche und ignorierte mit eben diesem Lächeln anzügliche Sprüche und Bemerkungen oder Vorgesetzte, die ihr nachstellten. Das ging in den Rücken, in die Beine, in die Hüften.

Mein Vater hatte es währenddessen höllisch in der Schulter. Ich erinnere mich, an das blutrote Licht und die feinen Schwaden, die ihn umhüllten, wenn er mit nacktem Oberkörper unter den heißen Strahlen der Infrarotlampe saß und dabei eine Kippe nach der anderen rauchte. Ich erinnere mich an die Wärmepflaster auf seinem Rücken, an seine schlechte Laune, die durch den körperlichen Schmerz nur noch befeuert wurde, ich erinnere mich an Wut an Frust und Angst. Und ich erinnere mich an die Erwartungen, die er an seine Töchter hatte. Ärztinnen oder Anwältinnen sollten sie werden, Hauptsache etwas Besseres.

Weil eine 2 noch lange keine 1 war, stellte er eines Abends sogar eine Tafel im Wohnzimmer auf, um uns Extraunterricht zu geben. Englisch zum Beispiel oder Mathe. Dabei konnte er das alles auch nicht richtig. Ich habe es gehasst. Aber wie der schwedische Schriftsteller Jonas Hassen Khemiri seinen tunesischen Vater zitiert:

„Wenn man so ausschaut wie wir, muss man tausendmal besser sein als alle anderen, um nicht abgelehnt zu werden.“

„Warum?“

„Weil alle Rassisten sind.“

Meine Eltern stritten oft miteinander. Und als Teenie stritt ich mit. Es gab Zeiten, da habe ich mich geschämt meine Freundinnen aus dem Agnesviertel nach hause einzuladen, weil die alle in Altbauwohnungen lebten und ihre Eltern viel hatten Geld. Und vor allem mit meinem Vater legte ich mich an, gegen seine Launen und Verbote, weil die Welt da draußen so gefährlich war. Zu ihm hatte ich den Zugang verloren. Obwohl wir beide Deutsch sprachen, hatten wir keine gemeinsame Sprache mehr.

Außerdem verfluchte ich den Heumarkt, weil er mir meine Mama zu oft wegnahm und ich mir Sorgen machte, dass ihr nachts auf dem Heimweg etwas passierte, denn wenn Mama weg wäre, dann wäre da nur noch er.

Ich erinnere mich, dass ich nicht einschlafen konnte, wenn Mama nachts arbeiten war. Und dieses wohlig-beruhigende Gefühl, dass sich in mir ausbreitete, wenn ich auf die Geräusche im Treppenhaus lauschte, das dongdobg des Fahrstuhls der jedes Mal ruckartig hüpfte, wenn er im 5. Stockwerk ankam und Mama sanft den Schlüssel ins sonst so laut zu knackende Schloss gleiten ließ. Dann schlief ich friedlich ein oder schlich mich auf leisen Sohlen in die Küche, wo sie saß bei einem Glas Rotwein und einer Zigarette zum runterkommen. Dann erzählte ich ihr von meinen jugendlichen Sorgen. Denn mit Mama konnte ich sprechen. Mit meinem Vater lange Zeit nicht.

Am nächsten frühen Morgen stand Mama dann aber auch wieder in der Küche und schmierte unsere Pausenbrote, Sie machte mit uns Hausaufgaben und Ausflüge und besuchte unsere Schulauftritte und fuhr trotzdem abends wieder zum Heumarkt. Und ich staune immer wieder darüber, wie Mama das geschafft hat. Unseren Vater hingegen überkam die Lethargie. Er fuhr zur Arbeit, wurde schikaniert und verließ nach Feierabend die Wohnung kaum noch.

Das Mantra meines Vaters ging auf mich über, bloß gut genug zu sein, meine Sache bestmöglich zu machen. Und heute plagt mich oft ein schlechtes Gewissen, weil ich nicht reich bin. Ich bin keine Anwältin oder Ärztin, ich schreibe und habe mich meiner Leidenschaft verschrieben. Und fühle mich bei dem was ich tue trotzdem manchmal nicht gut genug.

Heute macht Mama das nicht mehr mit dem Kellnern. Die Hüfte ist kaputt vom Rennen und bedienen. Sie hat mit Mitte 50 eine neue Ausbildung absolviert und kümmert sich um Demenzkranke Menschen, spricht mit ihnen und versucht Erinnerungen aufrecht zu erhalten.

Das Verhältnis zu meinem Vater hat sich geändert, denn wir reisten gemeinsam nach Ghana, wo ich endlich mehr über ihn erfahren durfte. Und ja, er schreibt. Abend für Abend. Seine Geschichten. Und meine Mama sitzt regelmäßig daneben und korrigiert sein Deutsch. Und mittlerweile bin ich dankbar dafür. Die Wut ist der Vergebung gewichen. Ich habe das Buch meines Vaters gelesen, die Dinge, die er durchmachen musste in diesem „Scheißspiel“ von Leben. Er schreibt. „Egal wie man versucht hatte sich zu integrieren, es gab immer wieder Ereignisse wo man sich selber als nicht dazugehörig bezeichnen konnte. Wie schön wäre es, wenn alle Menschen bei der Integration mitmachen würden, und wie hässlich ist es, wenn man ständig nur die Fremden meint. Überall auf der Welt haben die Fremden schwer zu kämpfen. Sie werden gedemütigt und als Menschen zweiter Klasse bezeichnet. Dazu kommen Hassparolen gegen sie und nicht selten, werden manche sogar ohne erkennbare Gründe, beschimpft und angegriffen.“

Ich las seine Worte und ich verstand.

 

 

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